Beobachtungen zur Gefühlstextualität. Eine literarische Neuauslegung der Sturm und Drang-Anthropologie im Lichte der neurokognitiven Affekttheorie / I. Orlandazzi. ((Intervento presentato al 5. convegno Treffen des Forschungsverbunds 'Frühe Neuzeit Südwest' : Textualität und Musikalität in der Frühen Neuzeit tenutosi a Zürich : 18./19. November nel 2022.
Beobachtungen zur Gefühlstextualität. Eine literarische Neuauslegung der Sturm und Drang-Anthropologie im Lichte der neurokognitiven Affekttheorie
I. Orlandazzi
2022
Abstract
Neuere Studien der Germanistik haben einen interessanten Forschungsweg eröffnet, der darauf abzielt, die Grenzen zwischen Disziplinen und Kulturen zu überwinden. Insbesondere bieten die Studien von den italienischen Germanistinnen Renata Gambino und Grazia Pulvirenti, beide an der Staatlichen Universität in Catania tätig, eine innovative Auslegung der deutschen Literatur aus dem 18. Jahrhundert mit besonderer Rücksicht auf den sogenannten Bio-Cultural Turn (vgl. Gambino und Pulvirenti 2018). Von diesem transdisziplinären Ansatz ausgehend ist mein Forschungsprojekt darauf hingezielt, in dieser innovativen Perspektive die Periode des Sturm und Drangs zu untersuchen. In den literarischen Texten der Stürmer-Zeit kommt nämlich die anthropologische Idee des „ganzen Menschen“, der gleichzeitig und ohne Hierarchie mit Körper und Geist ausgestattet ist, deutlich zum Ausdruck. Diese anthropologische Idee wird heute von der zweiten Generation der neurokognitiven Wissenschaften aufgegriffen, die jeden geistigen Prozess – also auch das künstlerische Schaffen – als Ergebnis der Interaktion zwischen dem individuellen Empfinden und der umgebenden materiellen und sozialen Umwelt betrachten. Gefühle, Empfindungen und Emotionen entstehen also auch durch die ständige Interaktion zwischen Körper, Geist und Umwelt und erzeugen eine multimodale Kommunikation. Diese Wechselwirkung zwischen Kognition, Sensibilität und Gefühl bestimmt auch die Denkprozesse im kreativen Bereich der Literatur, des Theaters, des lyrischen und autobiografischen Ausdrucks und schafft einen ständigen Austausch zwischen Autor, Werk und Leser. Ziel meines Projekts und meines Vortrags ist es daher zu zeigen, wie die heutigen neurokognitiven Studien über Gefühle und Emotionen zum Schlüssel für eine Neuinterpretation eines Korpus autobiografischer Schriften aus der Sturm-und-Drang-Zeit werden können, in denen die Subjektivität und das Gefühlsleben des Autors zum Vorschein kommen und wo die Wurzeln der heutigen Affekttheorie liegen. Anlässlich dieser Tagung werden insbesondere Passagen aus Herders Journal meiner Reise im Jahr 1769 und aus Sophie von La Roches Briefroman Geschichte des Fräuleins von Sternheim sowie aus einigen Briefwechseln untersucht. In diesen „Herzensschriften“ (Giurato 2016) entsteht sofort eine Gefühlstextualität, die heute als privilegierter Raum für das Verständnis dafür dienen kann, wie die deutsche Literaturanthropologie des späten 18. Jahrhunderts als poetische Wiege jener affektiven Wende betrachtet werden kann, die heute einen intensiven und vielversprechenden interdisziplinären Dialog anregt.File in questo prodotto:
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