Das Umkehren des Zirkels : Zu Franz Mons Collagen / P. Bozzi - In: Collage/Montage in Kunst und Literatur von den 1960er Jahren bis heute / [a cura di] V. Krieger, G. Streim. - Köln : Böhlau, 2024. - ISBN 978-3-412-52989-5. - pp. 25-39 (( convegno Collage/Montage in Kunst und Literatur von den 1960er Jahren bis heute tenutosi a Jena nel 2023.

Das Umkehren des Zirkels : Zu Franz Mons Collagen

P. Bozzi
2024

Abstract

Die kritische Reflexion über die Prinzipien ‚Collage‘ und ‚Montage‘ in der modernen Literatur ist in Deutschland ohne Franz Mon nicht zu denken. Das Interesse des Feuilletons bzw. der Forschung gilt allerdings weniger seinen Collagen als den Leistungen, die er für experimentelle Literatur wie das Hörspiel zweifellos vorweisen kann. Dabei haben seine zahlreichen, mehr oder weniger zentrierten Reißcollagen, Versalcollagen, Streifen- oder Recyclingcollagen nicht an Aktualität verloren und verdienen nähere Betrachtung. Im digitalen Zeitalter bzw. inmitten von unsichtbaren Datenströmen gewinnt ihre Materialität an Bedeutung; Fragen nach Authentizität, Präsenz, sinnlicher Erfahrung oder individueller Gestalthaftigkeit werden virulent. Mons Collagen sind Ergebnis eines medienkritischen Interesses. Sie fußen auf einer ausgedehnten Auseinandersetzung mit dem gedruckten Text und dem vervielfältigten Bild bzw. massenhaft reproduzierten Abfall der Printmedien. Den Collagisten der 1920er/1930er Jahre kam die der Zeitung immanente Collagestruktur noch nicht in den Blick. Mon hat die in sich prinzipiell heterogene Struktur von Zeitung, ihre von unsichtbaren Schnittkanten durchzogene Textur erfasst und umgesetzt. So erzeugen seine Collagen ein Informationsrauschen der besonderen Art: Die Verabsolutierung der Linearität wird mit der Schere aufgebrochen, das ideologischen Zwecken dienstbare illusionistische Sprachgewebe durchgestoßen und ein nichtlinearer, imaginativer Lese- bzw. Deutungsprozess angeregt. Mons Formel „Text wird Bild wird Text“ beschreibt programmatisch diesen Vorgang. Dabei wird „lesbares in unlesbares“ (C. Bremer) übersetzt, eine bestimmte, gesetzte und als ideologisch durchschaute Ordnung in Unordnung bzw. in eine Ordnung der Polyvalenzen transformiert, um so den Wandlungsgehalt eines Systems zu demonstrieren. Eine Rezeption zu trainieren, die Mehrdeutigkeit, Vielschichtigkeit und Vielwertigkeit zu lesen versteht bzw. die Offenheit des künstlerischen Werks beim Wort nimmt, und die Aufforderung zu einer solchen Einübung in ästhetische Kommunikation als Freiheitsversprechen sind für Mon eins. Sein Engagement als Collagist gegen die gestaltlose Vermassung ist im etymologischen Sinn des Wortes revolutionär: Es zielt auf das Recycling als „Umkehren des Zirkels, auf das Rotieren im umgekehrter Richtung, vom Abfall in Richtung Kultur“ (V. Flusser). Dafür macht sich Mons künstlerische Intervention die Arbitrarität der vorgefundenen Setzungen und Übereinkünfte bzw. den Konstruktionscharakter der hegemonialen Artikulationen zu Nutze. Seine Collagen sind in diesem Verständnis der Ausgangspunkt einer aisthetischen-ästhetischen Praxis, die Bedeutungsträger reartikuliert und gegebene Bedeutungs- und Funktionszuweisungen facettenreich bearbeitet. Somit verunsichern sie eine im Zeitalter massenmedialer Informationsflut vermeintlich umfassende und substantielle Wirklichkeitserfahrung, indem sie den Rezipienten über die scheinbare Gewissheit von Tatsachen nachdenken lassen. Sie werben weiterhin bewusst für nichts Anderes als für ein vorsichtiges Herumtasten im Gedächtnisraum des Menschen, haben dabei einen realistischen und zugleich utopischen Gehalt. Anders als von O. Kutzmutz behauptet, geht es hier nicht um Beliebigkeit, sondern um Freiheit, sowohl in der Theorie als auch in der künstlerischen bzw. interpretatorischen Praxis. In Mons Werken ist die Collagenfläche ein Phänomen der Simultanität von ineinander gespiegelten Flächen, ein parallel auftretendes Fort-Da der Materialitäten und Medialitäten, das Palimpsestcharakter erhält und zugleich dessen Prinzip von latent und manifest, abwesend und anwesend in Multiplikationen aufhebt. Die Effekte von Palimpsest und Vervielfältigung legen nahe, das inner- und intersystemische Spiel mit den imaginären Spiegelzonen und optischen Intensitäten der Fläche als einen Aspekt ihrer Perzeptibilität selbst zu betrachten. Dabei stellt sich die Frage, wie diese Perzeptibilität sich in die paradoxale Doppelstruktur der materiellen Sublimierung und Fakturierung einordnet.
Settore L-LIN/13 - Letteratura Tedesca
2024
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/2434/1088928
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